Jörg Alexander

„Die Welt, wie wir sie erleben, ist eine Illusion“

Wie kam Jörg Alexander zur Zauberkunst? Wie war das mit dem Zauberkasten aus dem Spielzeugladen? Warum ist die ganze Welt eine Illusion? Was sind die Geheimnisse seines Berufs und warum hilft ihm die Ausbildung zum Elektrotechniker bei seinen Kunststücken? Im Interview mit dem Journalisten Florian Kinast gibt Jörg Alexander tiefe Einblicke in die Faszination Zauberkunst.

Joerg Alexander im Interview mit Gesprächspartner Florian Kinast

Herr Alexander, lässt sich ein Zauberkünstler denn selbst noch verzaubern?

Ja, glücklicherweise von vielen Dingen. Menschen können mich verzaubern, kleine Kinder, die sich mit Begeisterung in eine Sache vertiefen. Oder wenn ich einen schönen Sonnenuntergang betrachte oder nachts in den Sternenhimmel gucke, auch solche Dinge verzaubern mich. Und ich staune gerne über Kollegen, von deren Kunststücke ich mich verzaubern lasse.

Kommt es da vor, dass Sie selbst manchmal nicht verstehen, wie ein Trick funktioniert?

Unvergessen ist mir ein Erlebnis mit Juan Tamariz, dem spanischen Zauberkünstler, einem meiner großen Vorbilder. Beim Weltkongress der Zauberer 1988 zeigte er ein paar Sachen, die ich komplett nicht verstanden hatte. Das war zum in die Tischplatte beißen. Das hat mich lange beschäftigt, wir haben uns danach angefreundet, eines Abends dann nahm ich mir vor, ihn zu fragen, wie er das damals gemacht hatte. Und genau in dem Moment, als ich ihn fragen wollte, hat es „Bling“ gemacht, kam die Erkenntnis und es war mir schlagartig klar.

Joerg Alexander im Interview

Welche drei Eigenschaften machen denn einen guten Zauberer aus?

Begeisterung, Begeisterung, Begeisterung.

So einfach ist das?

Nicht ganz, aber ohne Begeisterung geht nun einmal gar nichts. Wenn die Faszination fürs Zaubern nicht da ist, dann investiert man all die Zeit und Mühe doch erst gar nicht. Faszination ist die erste Eigenschaft. Die Liebe zur Zauberkunst die zweite. Ich muss den Leuten vermitteln, dass ich mit Herzblut bei der Sache bin, nur so kann ich die Zuschauer für mich gewinnen. Und die dritte Eigenschaft ist die Lust am Spielerischen. Am Spiel mit dem Zuschauer. Wenn ich vor dem Spiegel stehe, dann zaubere ich nicht, dann übe ich nur. Zaubern geht nur mit Publikum. Es geht dabei nicht darum, die Zuschauer übers Ohr zu hauen, sie hinters Licht zu führen. Und nicht darum, dass der eine gewinnt und der andere verliert. Es geht um das gemeinsame Erlebnis. In dem Moment, in dem die perfekte Illusion entsteht, haben beide gewonnen.

Die Erzeugung einer perfekten Illusion ist also das höchste Ziel eines Zauberkünstlers?

Ja. Das ist das Erlebnis, um das es mir geht, das Schönste, was passieren kann. Wenn das Publikum sagt: Das kann doch nicht so sein, das ist doch unmöglich, geht doch gar nicht. Wenn ich als Zuschauer einen Moment erlebe, von dem ich genau weiß, es kann so nicht sein, und trotzdem erlebe ich, wie die ganze Welt aus den Angeln gehoben wird. Wenn die Illusion nachwirkt und niemand draufkommt. Und wenn die Zuschauer auch gar nicht wissen wollen, wie es geht, sondern einfach diese Freude haben, von Herzen staunen zu können und sich faszinieren zu lassen.

Werden Sie dann nach Ihren Auftritten also gar nicht oft nach den Geheimnissen Ihrer Tricks gefragt?

Doch, das kommt schon vor. Aber meistens wollen die Leute mit einem Gefühl nach Hause gehen, dass es in dieser Welt, in der alles so berechenbar und vorhersagbar ist, einen Bereich gibt, den sie nicht begreifen. Letztlich ist ja dieses scheinbar Festgeformte, ist die Wirklichkeit, wie wir sie im Kopf geschaffen haben, und ist die Welt, wie wir sie erleben, die eigentliche Illusion.

Was meinen Sie damit?

Dass unsere Wahrnehmung nicht stimmt. Dass die Welt, wie wir sie im Kopf haben, anders ist als die Welt da draußen. Wir sehen immer nur einen Teil der Wirklichkeit, daraus formen wir unser Bild, das aber nur ein Zerrbild ist.

Joerg Alexander im Interview - Spielkartenstapel

Das bedeutet demnach, ein Zauberer manipuliert das menschliche Gehirn? Er nützt es aus, dass die menschliche Wahrnehmung nicht perfekt ist?

Das ist Zauberkunst auf den Punkt gebracht. Natürlich braucht es Grundtechniken. Fingerfertigkeit, mathematische Prinzipien. Aber dazu muss es mir gelingen, den Betrachter in die Irre zu führen. Ihm zeigen, dass die Welt da drin und die Welt da draußen nicht zusammenpassen. Wir Menschen sind gar nicht dazu gemacht, alles perfekt zu wissen und zu begreifen, das hat die Evolution so nicht vorgesehen.

Das heißt, es gibt noch andere Dimensionen, die wir nicht begreifen? Oder wie das Sprichwort besagt, mehr zwischen Himmel und Erde, als wir verstehen?

Natürlich. Das ist nicht so weit weg von der Physik, mit der ich mich in meiner Ausbildung zum Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik beschäftigt habe. Das, was ich als Zauberer mache, Gegenstände verschwinden und von einem Ort zum nächsten wandern zu lassen, das ist in der Quantenphysik ganz normal. Da weiß das eine Teilchen ja auch nicht, bin ich jetzt hier oder bin ich da. Anders gesagt: Je genauer man auf die Welt guckt, desto mehr löst sie sich auf.

Joerg Alexander im Interview: Sein Gesprächspartner Florian Kinast

Sie sprechen von Ihrer Ausbildung, wie ging das eigentlich los bei Ihnen mit dem Zaubern? Mit dem klassischen Zauberkasten aus der Spielwaren-Abteilung für 19,99 D-Mark?

Das erste Erlebnis war eine Familienfeier, bei der mein Onkel zu Besuch war. Der war kein Zauberer, er hatte aber einfache Kunststücke aufgeschnappt. Wie beispielsweise eine Münze verschwinden zu lassen oder ein Kartentrick, den ich selbst heute in meinen Shows noch verwende. Das hatte im wahrsten Sinne einen Zauber auf mich ausgeübt. Tatsächlich bekam ich dann mal einen Zauberkasten geschenkt, bin ich in die Bücherei, habe Fachliteratur gelesen und kam dann in den Magischen Zirkel. Mit 16 war ich beim ersten Zauberkongress, mein erster Wettbewerb, der gleich mit dem Ersten Platz endete.

Aber da dachten Sie noch nicht daran, das Zaubern zum Beruf zu machen?

Nein. Zaubern war einfach ein großes Hobby, außerdem war ich etwas abgeschreckt, als ich Interviews mit Profis sah, die die Begeisterung und die Liebe fürs Zaubern verloren hatten. Das hat mir weh getan. Aber dann hatte ich das Glück, so großartige Künstler wie besagten Juan Tamariz kennenzulernen, einen Menschen, der leuchtet und mitreißt, wenn er auf der Bühne steht, das hat mir dann den Kick gegeben, das Zaubern professionell auszuüben.

Das bedeutet ja aber auch enorm harte Arbeit, oder?

Hart würde ich nicht sagen. Es macht mir so viel Freude, dass es keine Strafe ist zu üben. Manchmal sitze ich an Kunststücken und auf einmal sind vier, fünf Stunden vorbei, ohne dass ich es gemerkt habe. Es braucht einfach viel Zeit, zum einen das Üben der Geschicklichkeit, dann das Studium der Fachliteratur, Bücher zu sichten und zu lesen, dann aber auch kommunikative Sachen. Ich nehme seit vielen Jahren Unterricht in Gesang, im Sprechen, im Schauspiel. Hat in erster Linie nichts mit Zauberkunst zu tun, hilft aber sehr beim Auftreten auf der Bühne. Wie man sich gibt und sich bewegt.

Können Sie sagen, wie lange Sie für das Einstudieren eines Kunststücks benötigen?

Das ist ganz unterschiedlich. Ein Musiker kann manche Stücke auch ganz einfach und ganz schnell vom Blatt spielen. Für andere muss er sich richtig lange anstrengen, bis sie sitzen. Schlimmstenfalls dauern manche Zaubertricks ein paar Jahre, bis sie gewachsen sind. Für ein klassisches Kunststück mit vier Assen, für das ich eine ganz neue Variante entwickelt habe, habe ich zwölf Jahre gebraucht.

Hat sich’s gelohnt?

Hat es. Vor allem, weil es mir damit geglückt ist, nicht nur das Publikum zu begeistern sondern auch meine Zauberkollegen. Auch da sind viele vom Glauben abgefallen. Aber es war eben auch ein sehr langer Prozess.

Geht bei den Kunststücken denn auch manchmal etwas daneben?

Aber sicher. Das kann für einen Zauberer natürlich sehr peinlich und unangenehm sein. Es kann aber auch die Chance bieten, mit einer Improvisation das alles noch zu retten. Das ist auch mein Credo, wenn etwas schief geht, darf ich mich nicht ärgern, sondern muss es als spannende Herausforderung annehmen, wie ich die Lage wieder zu meinen Gunsten drehen kann. Das kann ganz toll sein und auch eine wichtige Technik fürs Leben an sich. Jeder Moment, in dem ich mich ärgere, kostet Energie. Das ist Verschwendung. Lieber gleich das Positive rausziehen und das Hindernis einfach nicht als Problem sehen.

Welche Kunststücke begeistern denn Sie selbst am meisten? Große, bombastische Tricks, wenn ein David Copperfield etwa die Freiheitsstatue verschwinden lässt? Oder die kleineren, vermeintlich unspektakulären?

Letztere. Zauberkunst mit engem Kontakt zum Publikum ist meine große Liebe. Was Copperfield gemacht hat, ist interessant, er hat dem Ansehen der Zauberei auch sicher sehr geholfen. Aber das kleine, nicht fassbare Kunststück, wenn nicht in 30 Metern Entfernung, sondern direkt vor deinen Augen aus weißen Papierstücken auf einmal echte Hundert-Euro-Scheine werden, das ist für mich noch viel spannender.

Joerg Alexander im Interview

Sie haben selbst ja einmal eine Seilbahn weggezaubert.

War auch eine irre Erfahrung, aber natürlich lasse ich so eine Seilbahn nicht im Ärmel verschwinden, da hängt ein ganzes Team dran, wo alles auf die Sekunde durchgeplant sein muss. Aber in einem Raum mit einem Publikum ganz nah bei mir ist es mir doch lieber.

Weihen Sie Ihre Familie denn immer in Ihre Kunststücke mit ein?

Sie ganz außen vor zu lassen, geht nicht, dafür kennen sie mich zu gut, und außerdem liegen daheim immer jede Menge Requisiten herum. Aber wirklich die Erfahrungen teilen und sich austauschen, das macht man eben nur mit Kollegen. Ich gab ja selbst viele Jahre Unterricht an der Zauberakademie in Pullach, leite Workshops und Seminare für Kollegen, da gebe ich natürlich viel von meiner Erfahrung weiter.

Haben Sie als Zauberkünstler denn Ihren Traumberuf gefunden?

Absolut. Schauen Sie, in meiner Zeit als Elektrotechniker habe ich an der Uni zwei Jahre an einem Projekt gearbeitet, das dann irgendwann eingestampft wurde und bei dem ich mir dann dachte, das waren zwei verschenkte Jahre meines Lebens. Jetzt habe ich genau das Gegenteil. Jetzt erlebe ich jeden Abend Erfolgserlebnisse und Glücksmomente. Das Lachen im Publikum, das Staunen, zu sehen, dass die Zuschauer nicht den Ansatz einer Lösung haben, das freut schon sehr. Das schönste Kompliment, das ich einmal bekommen habe, war nach einer Vorstellung, als eine Zuschauerin zu mir sagte: „Ganz toll, was Sie da gemacht haben und wie Sie es gemacht haben. Es war eine große Freude, Sie kennenzulernen.“ Das war wunderschön. Für mich braucht es nicht den Riesenjubel auf der großen Bühne. Wenn ich einen erfolgreichen Abend hatte, schwebe ich leicht über dem Boden und denke mir dann immer: „Ich habe den besten Beruf der Welt.“

Wie lange kann man denn Zauberkünstler auf professionellem Niveau sein?

Die Geschicklichkeit, das Fingerfertige, da darf man im Alter nicht nachlassen. Dafür gewinnt man aber auch immer mehr Erfahrung und Routine. Ich würde sagen: Die beste Zeit liegt noch vor mir.

Joerg Alexander im Interview - Spielkartenfächer